Prof. Dr. med. Axel W. Bauer erklärt die Hintergründe der aktuellen Diskussion um die Hilfe bei der Selbsttötung.
Tag-Archiv: §217
Thesenpapier: Was heißt in Würde sterben?
Auf der Fachtagung „Was heißt in Würde sterben?“ stellte Prof. Dr. Thomas Sören Hoffmann neun Thesen zur Diskussion, die wir hier wiedergegeben:
Thesen zu Suizid und Suizidbeihilfe
0. Vorbemerkung: Die folgenden Thesen betrachten das Problem des Suizids und der Suizidbeihilfe in ethisch-‐handlungstheoretischer Perspektive; ihr Gegenstand sind nicht unmittelbar die Fragen des Umgangs mit Suizidgefährdeten oder andere, z.B. psychiatrisch-‐therapeutische oder sonstige pragmatische Dimensionen des Problems (etwa der Schutz von Suizidgefährdeten gegen allzu eilfertige „Helfer“ bei Ärzten und Verwandten) sowie die Probleme, die sich für das Arztethos stellen müssen.
Zur biopolitischen Einbettung der aktuellen Debatte
1. Die neueren Debatten um die gesetzliche Lizenzierung der Suizidbeihilfe sind grundsätzlich im Kontext einer biopolitischen Gesamtperspektive zu sehen, die dadurch gekennzeichnet ist, daß „moderne“ Gesellschaften sich stets erweiternde Regulierungskompetenzen in Beziehung nicht nur auf die eigentliche Rechtssphäre, sondern auch das „nackte Leben“ (Giorgio Agamben) ihrer Mitglieder zuschreiben. Weiterlesen
Ein weiterer Entwurf
Zum Entwurf
der DGHS für ein Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Suiziden
(Suizidpräventionsgesetz – SPG)
Am 15.11.2012 legte auch die DGHS (Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben) einen Gesetzentwurf zur Einführung des neuen §217 StGB vor und erweiterte dies gleich zu einem komplett eigenen Gesetz. Hier ein kurzer Überblick zu diesem Gesetzentwurf und ein paar Gedanken zur Bewertung desselben.
Übersicht
Einen eigenen Entwurf zum §217 StGB legte die DGHS vor.
Hauptstoßrichtung dieses Entwurfs ist die Einführung einer Beratungsregelung äquivalent zu §219 StGB.
Unter der Überschrift Suizidpräventionsgesetz arbeitet die DGHS sich argumentativ an dieser Vorgabe entlang.
Den Absatz 2 des von der Bundesregierung geplanten Gesetzentwurfs sieht die DGHS lediglich als eine Legalisierung der ihrer Ansicht nach schon alltäglichen Praxis in bundesdeutschen Krankenhäusern, Hospizen und palliativmedizinischen Einrichtungen an.
Aus Sicht der DGHS werde damit einem Selbstbestimmungsrecht der Menschen auf einen humanen ärztlich begleiteten Freitod nicht genüge getan.
Basierend auf einer Darstellung der volkswirtschaftlichen Kosten unkotrollierten Suizids formuliert die DGHS ihr Ziel, Kurzschlußhandlungen suizidwilliger Patienten durch kompetente, wertneutrale Beratung vorzubeugen. Bleibt der Wille zum Suizid, solle dieser ärztlich assistiert werden.
Um das Ziel der Beratung umsetzen zu können, fordert die DGHS die Einführung staatlich zugelassener Beratungsstellen. Hier soll der Hintergrund des Sterbewunsches vertrauensvoll besprochen werden. Wiederum wird die Analogie zu den sog. Schwangerschaftskonfliktberatungen aufgezeigt.
Am Ende des Prozesses soll dann der ärztlich begleitete Suizid stehen. Immerhin wird dem Arzt hier noch die Gewissensfreiheit zugestanden, selbst zu entscheiden, ob er an so etwas mitwirken will oder nicht.
Die parallel geforderten Änderungen im BtMG und AMG stellen die Forderung nach Einführung tötlicher Präparate dar, die für den ärztlich begleiteten Suizid zur Verfügung stehen sollen.
Die DGHS geht im vorgelegten Gesetzentwurf von einem mündigen, selbstbestimmten Menschen aus, der selber die volle Verantwortung über sein Leben oder Ableben tragen kann und soll. Die angestrebte Beratung soll Suizide auf Grund vorübergehender Depressionen ausschließen.
Als Tötungsmedikament wird ein Medikament vorgeschlagen, das man auch zum Einschläfern von Tieren benutzt.
Bewertung
Die DGHS legt hier einen Entwurf vor, der, erlangte er Gesetzeskraft, unter dem Deckmantel der Suizidprävention alle Türen zum begleiteten Suizid öffnen würde. Die Beratungsscheinlösung ist schon bei Abtreibung keine Barriere. Beim ärztlich begleiteten Suizid wird dies ebenso der Fall sein.
Zu Recht stellt die DGHS die volkswirtschaftlichen Schäden des aus ihrer Sicht wilden Suizids dar. Was sie verschweigt sind die Schäden, die durch den begleiteten Suizid entstehen würden. Eine Studie aus der Schweiz hat die Folgen für Angehörige mehr als deutlich belegt. PTBS und Depressionen bei Angehörigen, die Patienten beim Suizid begleitet oder geholfen haben, sind der Regelfall und nicht die Ausnahme.
Grundsätzlich immer gilt, dass suizidwillige Menschen psychische Störungen aufweisen. Hier trennt die DGHS zwischen temporären und dauerhaften Depressionen. Während dem temporär depressiven noch eine Chance eingeräumt wird, soll der dauerhaft depressive Patient, so er das will – und er wird wollen, das gerade das Merkmal hoher Suizidalität bei Depression (und anderen psychischen Störungen) – der Gang zur ärztlich begleiteten Selbsttötung geöffnet.
Es ist bezeichnend, dass im vorliegenden Entwurf die Alternativen einer altersangemessenen psychologischen und psychiatrischen Betreuung im Umfeld von Pflege oder Palliativmedizin gar nicht erst angedacht wird.
Vielmehr wird die Änderung einschlägiger Rechtsnormen gefordert, damit die zur Selbsttötung geeigneten Medikamente schnellstmöglich auch zur Verfügung stehen.
Es ist nicht zu erkennen, was an diesem Gesetzentwurf „human“ sein soll. Ein suizidwilliger Mensch, der in einen solchen, hier geplanten „Beratungsprozess“ gezwungen wird, wird am Ende selbstverständlich Selbstmord begehen. Die ständige und immer wieder kehrende Thematisierung des Suizid als vermeintlich einzigem Ausweg ruft den Gedanken immer wieder ins Bewusstsein des Patienten. So wird sich in der überwiegenden Zahl der Fälle der Beratene dann auch für das entscheiden, wozu er beraten worden ist.
Alternativen stehen nicht auf dem Plan. Ja mehr noch, es soll jemandem der akut suizidgefährdet ist sogar die möglicherweise einzige Chance der Einweisung in eine psychiatrische Fachklinik vorenthalten werden. Alle an dem Verfahren beteiligten werden in allen Situationen straffrei gestellt.
Der letzte Satz des Entwurfs, der Ärzten und Pflegepersonal Gewissensfreiheit zubilligt wird ebenso zur Farce werden, wie die Gewissensfreiheit bei Mitwirkung an Abtreibungen. Letztere wird von Gerichten zunehmend ausgehebelt.
Fazit
Der hier vorgelegte Gesetzentwurf ist im Hinblick auf das angegebene Ziel der Suizidprävention völlig ungeeignet. Da jegliche Alternativen hinsichtlich einer medizinischen und psychologischen Betreuung fehlen, kann es dem Grunde nach nur als Suizidanbahnungsgesetz angesehen werden.
Aus der Sicht eines Anwalts
beleuchtet Jens Ferner die Einführung des geplanten §217
Spannend an der Analyse ist, dass nach dem jetzigen Entwurf keinesfalls davon ausgegangen werden kann, dass eine Beihilfe zum Selbstmord grundsätzlich ohne rechtliche Folgen bleibt. Immerhin gilt nach wie vor die unterlassene Hilfeleistung als strafbar.
Wie absurd die möglichen Folgen aus Sicht des Juristen sind, zeigt die Tatsache, dass ein potentieller Suizidhelfer trotzdem verpflichtet wäre, beispielsweise nach Hilfe zur Einnahme einer tödlichen Substanz wäre der Helfer trotzdem verpflichtet, den Notarzt zu rufen.
Dies zeigt nun wiederum sehr deutlich, wie fremd der Gedanke, einem Menschen bei seinem vermeintlich freiwilligen Ableben zu helfen, unserem Rechtssystem ist. Das Strafgesetzbuch sowie die gesamte deutsche Rechtsordnung sind grundsätzlich auf den Schutz menschlichen Lebens ausgerichtet. Ausnahmeregelungen wirken sich als Fremdkörper aus und führen zu sonderbaren und völlig unklaren Rechtslagen, die dann wieder die Gerichte zuweilen über Jahre beschäftigen.
Interessant wäre es mal ein Gutachten von einem Verfassungsrechtler zu lesen, ob der geplante §217 StGB überhaupt verfassungskonform wäre. Man darf daran zweifeln.
Ein Stück aus dem Tollhaus
So nannte der Präsident der Bundesärztekammer den Gesetzentwurf für den neuen §217 StGB in einer Presserklärung vom 31.7.2012.
Der §217- Entwurf aus Sicht der Ärzte
Etwas ausführlicher äußert sich die Bundeärztekammer dazu in ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 31.5.2012.
Die Stellungnahme schließt mit dem Fazit:
Es ist nicht hinnehmbar und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar, wenn Menschen in verzweifelter Lebenssituation, die sie an Suizid denken lassen, hierzu durch Werbung eingeladen werden und ihr Suizid planmäßig organisiert wird, statt ihnen in der zugrunde liegenden Lebenssituation Hilfe und Unterstützung anzubieten. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Wunsch nach einem Suizid zumeist nicht freiverantwortlich gefasst wird, sondern der Hilferuf eines kranken Menschen ist und oft auf einer psychischen Erkrankung beruht. „Es ist unerträglich, wenn die natürliche Hemmschwelle vor dem Tod dadurch abgebaut werden soll, dass vermeintlich leichte Wege vom Leben zum Tod aufgezeigt werden und der Suizid so zum Gegenstand von Profilierungsversuchen bzw. des Gewinnstrebens Einzelner“ wird. Zudem ist die Frage der Freiverantwortlichkeit des Suizids und die Aufgabe, die in diesem Kontext Ärztinnen und Ärzten zukommt, zu thematisieren. Ferner besteht die Befürchtung, „dass die scheinbare Möglichkeit des leichten Übergangs vom Leben zum Tod eine zutiefst unmoralische und unmenschliche Lebenshaltung gegenüber schwerstkranken und alten Menschen zu erzeugen geeignet ist“ (BR-Drs. 149/10, S. 3). Quelle: Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung (Az: II A 1 4040 – 23). Berlin, 31. Mai 2012. S.4
Zwei Aspekte sind hier besonders hervor zu heben. Zum einen betont die Bundesärztekammer sehr deutlich, dass der Wunsch nach Suizid gewöhnlicherweise nicht frei verantwortlich gefällt ist. Statt einer Legalisierung der Hilfe bei Selbsttötung wäre also eher eine Förderung der Hilfe zum Leben notwendig. Im konkreten Falle das verbesserte Angebot medizinischer und therapeutischer Hilfe in Grenzsituationen menschlichen Lebens. Die angemessene Antwort auf den Hilferuf eines suizidwilligen Menschen ist keinesfalls die Hilfe bei Ausführung seines Plans sondern das Aufzeigen von Alternativen, um ihn ins Leben zurück zu begleiten.
Zum anderen wehren sich die Ärzte zu recht gegen den gesellschaftlichen Trend menschliches Leben nach Nützlichkeitsaspekten anzusehen. Auch der schwerstkranke und alte Mensch hat ein Recht auf Leben und ein Recht auf eine würdige und angemessene Begleitung und Versorgung in dieser letzten Lebensphase. Aufgabe der Ärtze ist es, Leben zu erhalten und Leiden zu mindern. Der Weg dazu ist in Grenzsituationen auf palliativmedizinischen und schmerztherapeutischen Wegen zu suchen. Als Suizidhelfer ist der Arzt fehl am Platz. Dies betont die Bundesärztekammer hier völlig zu recht.