von Richard Schütze
Die gewerbliche Förderung von Suiziden soll unter Strafe gestellt werden. Der Gesetzentwurf verdient besondere Beachtung, denn im zweiten Absatz des neu gefassten § 217 Strafgesetzbuch wird die Tür zu einer schleichenden Einführung der Euthanasie weit aufgemacht.
Darauf angesprochen, gab sich der Minister sichtlich überrascht. Offenbar hatte er nicht „geblickt“, welche Regelungen zur Strafbarkeit der sogenannten Sterbehilfe in dem von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger am 29. August im Kabinett vorgelegten Gesetzentwurf mit dem Titel „§ 217 StGB Gewerbsmäßige Förderung der Selbsttötung“ enthalten sind. Irgendwie ist dieses Thema den meisten Kabinettsmitgliedern und Abgeordneten des Deutschen Bundestages in der Aufregung um die Euro-Krise, den Haushalt und die Finanzen, die Kür von Peer Steinbrück zum SPD-Kanzlerkandidaten und die US-Präsidentenwahl unter der Wahrnehmungsschwelle durchgegangen. Gerade dieser Gesetzentwurf hat es aber in sich und ist eine besonders raffinierte Mixtur, die viel Aufmerksamkeit und ein genaues Hinsehen verdient. Schon am Donnerstag soll er in erster Lesung als Nummer 42 von 46 Punkten der Tagesordnung und damit erst um Mitternacht herum in der bis 2 Uhr nachts anberaumten Sitzung des Bundestages behandelt und dann sehr rasch bereits Ende Januar im Bundestag in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. Weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit und ohne große Debatten. So ist es beabsichtigt und auch geplant – bislang.
Doch der Tod gehört zu jedem Leben und trifft jeden Menschen. Er berührt, wühlt auf und seine Umstände oder gar seine bewusst gewollte Herbeiführung wollen sorgsam bedacht sein. Gerade in einem Land, in dem der Tod in brauner Zeit „ein Meister“ war und Euthanasie einer der Begriffe für die Tötung sogenannten unwerten Lebens.
Im Januar 2009 nahm sich der Ratiopharm-Gründer Adolf Merckle aus Verzweiflung über eine unternehmerische Fehlspekulation das Leben;auch der beliebte Fußballnationaltorwart Robert Enke warf sich ein paar Monate später, im November 2009, vor einen Zug. Enke litt an einer schweren Depression. Beide wählten in ihrer Hoffnungslosigkeit einen einsamen Weg in den Tod. Das Ehepaar Eberhard und Helga von Brauchitsch aber reiste im September 2010 gemeinsam nach Zürich, um für seinen Suizid die Dienste der Schweizer Sterbehilfsorganisation „Exit“ in Anspruch zu nehmen. Der Industrielle und seine Frau, eine Ärztin, waren schwer erkrankt und wollten ihrem Leben ein Ende setzen, solange sie sich noch einsichts- und handlungsfähig fühlten.
Die Suizidraten nehmen im Alter zu
Aktuell wird intensiv diskutiert, wie man Geisterfahrer davon abhalten kann, bei ihren Suizidversuchen andere Menschen mit in den Tod zu reißen oder schwer zu verletzen. Soeben hat die ARD dem „Leben mit dem Tod“ sogar eine eigene „Themenwoche“ gewidmet. Suizidversuche und der Freitod vor allem jüngerer und dem Anschein nach mitten im Leben stehender Menschen verstören und erschüttern die Umwelt und, wenn es sich um Prominente handelt, auch die Gesamtgesellschaft. Eher hilflos und achselzuckend werden altersbedingte Selbstmorde aus Angst vor Einsamkeit, Verlassenheit, aber auch Krankheit und Siechtum zur Kenntnis genommen. In einer Gesellschaft ohne den Glauben an und die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod fürchten die meisten Menschen das Sterben mehr als den Tod.
Mindestens 100.000 Menschen versuchen in Deutschland jährlich, ihrem Leben mit eigener Hand ein Ende zu setzen; rund jeder zehnte Suizidversuch endet tödlich. Mit zunehmendem Alter nehmen die Suizidraten deutlich zu; dabei töten sich Männer im Alter weit häufiger als Frauen. Nachdem Organisationen wie „Dignitas“ und „Exit“ auch mit Werbung und Anzeigen einen wahren Sterbetourismus in die Schweiz initiiert hatten, sahen CDU/CSU und FDP Handlungsbedarf. In der im Herbst 2009 getroffenen Koalitionsvereinbarung wurde festgelegt, die gewerbliche Förderung von Suiziden unter Strafe zu stellen. Dieser Regelung entsprechen die Überschrift und der erste Absatz des vorgelegten Gesetzentwurfs.
Doch im zweiten Absatz des neu gefassten § 217 Strafgesetzbuch wird die Tür zu einer schleichenden Einführung der Euthanasie weit aufgemacht. Denn Anstiftung und Beihilfe zu einer gewerbsmäßigen Suizidmitwirkung sollen dann explizit nicht strafbar und damit erlaubt sein, wenn diese von einem Angehörigen oder einer nahe stehenden Person geleistet werden. Eine „nahe stehende Person“ aber kann auch ein Arzt sein. Das lässt aufhorchen.
Nach einer von der Stiftung „Ja zum Leben“ bei Infratest-dimap 2011 in Auftrag gegebenen Umfrage sind 93 Prozent der Deutschen der Auffassung, dass jede Form von Beihilfe zu einer Suizidhandlung strafbar sei. Dies beschreibt zutreffend die gültige Rechtslage in Österreich, während in den Benelux-Staaten die suizidale Euthanasie schon weitgehend privatisiert ist. In Deutschland aber ist jede Mitwirkung an einem Suizid im Unterschied zu einer Tötung auf Verlangen noch nicht strafbar, sofern dabei nicht Mitglieder von Berufsgruppen mit einer sogenannten Garantenstellung (für das Leben), also beispielsweise Ärzte und Mediziner, beteiligt sind. Nach der Musterberufsordnung der Bundesärztekammer (BÄK) und der Auffassung von BÄK-Präsident Frank Ulrich Montgomery sowie den verbindlichen ärztlichen Berufsordnungen der meisten Landesärztekammern ist Ärzten jegliche Mitwirkung bei Selbsttötungen verboten und soll auch weiterhin untersagt bleiben.
Gegen den befürchteten Dammbruch protestieren die BÄK, die katholische und die evangelische Kirche sowie das Nationale Suizid Präventionsprogramm für Deutschland (NASPRO), die Christdemokraten für das Leben (CDL), die Stiftung „Ja zum Leben“ und der Bundesverband Lebensrecht (BVL) massiv. Denn schon haben die Sterbehilfsorganisationen reagiert und sich entsprechend der Gesetzesnovelle von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger formiert. Sie treten nun durchweg in der Rechtsform von Vereinen auf, denen ein Sterbewilliger beitreten kann, und suchen jeglichen Anschein einer Gewerbsmäßigkeit zu vermeiden. Suizidfördernde Maßnahmen auch von Ärzten oder medizinischem Personal würden dann mit den Vereinsbeiträgen oder einer Spende abgegolten. Künftig sollen gar eigene Beratungsstellen nach dem Muster der Schwangerschaftsberatung das suizidale Sterben noch leichter machen. Ein Schelm, wer mit dem Blick auf die demografische Überalterung und die sozialversicherungsrechtlichen Kosten der Multimorbidität älterer Menschen Böses dabei denkt.
Zwar ist der Alterssuizid die häufigste Form der Selbsttötung, doch liege dem, so NASPRO-Präsident Armin Schmidtke, in der Regel eine altersbedingte Depression zugrunde. Mechthild Löhr, Vorsitzende derCDL, sieht in der Beihilfe gerade auch von Ärzten zu Selbsttötungen älterer Menschen gar „eine unterlassene Hilfeleistung gegenüber psychisch extrem belasteten Mitmenschen“. Löhr fordert „vielmehr Solidarität mit in Not geratenen Mitmenschen statt dem bequemen Weg der Beihilfe oder gar Anstiftung zur Selbsttötung“, wenn die Gesellschaft glaubhaft ihr humanes Antlitz bewahren wolle.
Insbesondere die Unionsparteien sind gefordert
Sein Daseinsrecht bis zum Tod zu behaupten, ist das elementare Anliegen eines jeden Menschen. Zu wenige palliativmedizinische Einrichtungen und eine fehlende mitmenschliche Sterbegleitung sind ein Armutszeugnis für ein ansonsten hoch entwickeltes Land. Der Staat muss mit größter Behutsamkeit dem Lebensrecht und Lebensschutz dienen und jeglichem Drängen zu einfachen „Problemlösungen“ vorbeugen. Und insbesondere die Unionsparteien sind nach den unglückseligen Debatten um die Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik zu Beginn des Lebens gefordert, Menschen in ihrer vielleicht schwersten Stunde vor weiterer Bedrängnis zu schützen.
Dieser Artikel ist zuerst auf The European erschienen.